Als ich mich entschloss, bei der Hospizgruppe mitzuarbeiten, musste ich mich erst einmal mit den Reaktionen meiner Umwelt auf diese Entscheidung auseinandersetzen. Eine Nachbarin fragte mich z.B.: "Ist diese Arbeit nicht viel zu belastend und schrecklich?"
Beantworten konnte ich ihr diese Frage zum damaligen Zeitpunkt noch nicht. Schließlich war ich erst kurz Mitglied der Hospizgruppe und hatte im Rahmen dieser Gruppen noch keine schwerkranken oder sterbenden Menschen begleitet. In dieser Zeit setzte ich mich vielmehr mit meinen eigenen Ängsten und Vorstellungen über Tod und Sterben auseinander. An der Frage meiner Nachbarin berührte mich besonders das Wort "schrecklich". Ließ ich mich mit dieser Arbeit etwa auf etwas Schreckliches ein???
Ganz tief in mir entdeckte ich auch Angst. Wohl hatte ich Verwandte und Freunde durch schwere Krankheit verloren und sie auch ein Stück dieses Weges begleitet, aber ich war noch nie dabei gewesen, wenn jemand seinen letzten Atemzug tat. Ich hatte ein - unklare - Vorstellung davon, dass das wohl auch schrecklich sein könnte.
Als ich das erste Mal gefragt wurde, ob ich eine Begleitung übernehmen wolle, sagte ich zu, aber in den Stunden vorher war mir doch recht bänglich ums Herz. Fragen und Selbstzweifel stiegen in mir hoch: "Warum meinst du eigentlich, dass du das kannst? Was willst ausgerechnet du dieser Frau helfen?"
Diese Anspannung hielt an, bis ich in der Wohnung der Patientin war. Dann überkam mich eine tiefe Ruhe, die mich auch nicht verließ, als ich allein mit ihr war. Es war alles so selbstverständlich, da war keine Angst mehr. Ich saß einfach an ihrem Bett und hielt ihr ein wenig die Hand. Sprechen konnte sie nicht mehr und sie atmete schwer. Manchmal seufzte sie, so wie man seufzt, wenn man schwer arbeitet.
Nach ungefähr einer halben Stunde trat genau das ein, wovor ich mich so sehr gefürchtet hatte, sie tat ihren letzten Atemzug. Zunächst war ich etwas unsicher: atmete sie jetzt etwa so flach, dass ich das nicht mitbekam? Die anfänglichen Zweifel blieben jedoch nicht lange, und mir war klar, sie war tot, sie war in meiner Gegenwart gestorben.
Ich habe das Sterben als etwas völlig natürliches empfunden, daran war überhaupt nichts Schreckliches oder Angst Erzeugendes. Das Schreckliche hatten mir vorher meine eigenen ängste und unklaren Vorstellungen vorgegaukelt.
Auch später habe ich bei einer Begleitung nie das Gefühl gehabt, das sei etwas Schreckliches. Wohl begegne ich körperlichem und seelischem Leid. Ich begegne Menschen in einer Krise, in der sie im Begriff sind, alles und alle zu verlieren und loslassen zu müssen. Das kann schmerzhaft sein, und es ist manchmal auch schwer, es anzugucken. Aber ich durfte auch die Erfahrung machen, dass ich in der Situation die Kraft bekomme, da zu sein - und zu bleiben.
Ob die Arbeit belastend wird, das liegt zum Teil in meiner eigenen Hand. Ich muss schon aufpassen und schauen, ob ich in einer konkreten Situation eine Begleitung übernehmen kann und möchte. Wenn ich während einer Begleitung merke, dass ich an meine Grenzen komme, kann ich mit den anderen darüber sprechen, wir lösen uns ab, tauschen uns aus und erweitern gegebenenfalls das Team. Das ist ja gerade das Schöne, dass wir eine Gruppe sind, in der viele völlig verschiedene Menschen sich gegenseitig ergänzen. Wenn ich auch als Begleiterin meistens allein am Krankenbett sitze, ohne Gruppe könnte ich diese Arbeit nicht leisten.
Unterstützung finden wir aber auch, das soll hier nicht vergessen werden, bei den Ärzten und dem Pflegepersonal, die uns immer geduldig für Fragen zur Verfügung stehen und z.B. mit mancher Tasse starken Kaffees die Nachtwachen sehr erleichtern. Danke!
Beate Aschemeyer